Der Standard: Keine Chance ohne elektronische Spur?
Wien – „Guter Mensch, böser Mensch?“ Das Diskussionsmotto im Expertenclub des BFI Wien am Mittwochabend vereint, was an Hoffnungen, Ängsten und Widersprüchen mit der Digitalisierung im Jobmarkt und dem sogenannten E-Recruiting daherkommt. Unwidersprochen klar: Künstliche Intelligenz, Chatbots und Blockchains halten Einzug in das Finden am Arbeitsmarkt. Angesichts der neuen Jobplattform von Google werde die Entwicklung auch recht rasant voranschreiten, erwartet Günther Strenn – einst klassischer Personalberater, jetzt Betreiber der Plattform JobRocker mit aktuell laut eigenen Angaben 25.000 Kandidatenprofilen, 100 Kunden und rund 200 Vermittlungen im Angestelltenbereich seit Gründung 2016.
Erwartbar preist Strenn seinen Algorithmus als effiziente Unterstützungstechnik der Personalabteilungen. Nach bestimmten Kriterien gefunden zu werden ist ja viel praktischer, als aufwendig zu suchen.
Daraus ergibt sich für ihn: Wer keine elektronische Spur, kein Profil online hat, existiert im elektronisch immer dominanter bestimmten Vermittlungsmarkt für Professionals nicht. Wer nicht durch den Flaschenhals der algorithmischen Erschnüffelung passt, existiert als Kandidat nicht. Wobei: Andere Fragen möglicher Exklusion schmettert Strenn ab. Etwa jene nach Altersdiskriminierung (seine Kandidaten sind zwischen 20 und Mitte 40): 50+ sei auch in der rein analogen Personalberatung kaum zu besetzen (gewesen) – das liege an den Unternehmen, nicht am Programm der Plattformen.
Die in Zeiten frustrierter Belegschaften und immer kreativer anschwellender Cyberkriminalität zunehmend drängendere Frage nach der Integrität von Mitarbeitern sei nicht sein Geschäft. Zwar werde die elektronische Spur analysiert, das sei aber kein Integritätscheck.
Da kommt der prominente Kriminalpsychologe und Bestsellerautor Thomas Müller ins Spiel. Er will wissen, was da für eine berufliche Eignung analysiert werde: „Die Strandfotos? Wie jemand die Katze streichelt? Für mich als humanistisch gebildeten Menschen ist die Kernfrage: Will ich das?“ Er will es offensichtlich nicht. Hat auch keine Facebook-Seite, allerdings existiert eine Fake-Seite mit seinem Lebenslauf und 400 Freunden, die sich mit seinem Fake-Ich unterhalten. Also verpackt Müller seine Kritik in eine Frage: „Glauben Sie also alles, was Sie da im Netz finden?“
Das ist der Ansatzpunkt für die Geschäftsführerin des BFI Wien, Valerie Höllinger: Medienkompetenz, sagt sie, gehöre zur digitalen Kompetenz, plus: Ohne Persönlichkeitsentwicklung, ohne Reflexion fehle natürlich das notwendige Bewusstsein. Als Weiterbildungsorganisation von digitalen Skills bis zu Führungskompetenzen ein breites Feld für Höllinger. „Eine Grundahnung von Coding wird wohl künftig jeder haben müssen, auch um Einschätzungen treffen zu können.“
Zurück zum Kriminalpsychologen, der mit der Prophylaxe gegen toxische Mitarbeiter recht gut im Geschäft ist: Wie kann erkannt werden, ob Mitarbeiter das Unternehmen schädigen werden oder nicht? Algorithmen können es nicht, ist er überzeugt. Müller als Verhaltensexperte hat dazu allerdings eine ganze Reihe Indikatoren. Grundsätzlich sagt er als Botschaft an die versammelten rund 100 Führungskräfte im Veranstaltungsraum des Restaurants Labstelle: Psychologische Sicherheit entstehe durch Balance im Selbstwertgefühl der Mitarbeiter. Dieses werde aus drei Quellen gespeist: aus beruflichem Erfolg, aus menschlicher Interaktion außerhalb des Berufs und aus Entscheidungen und Handlungen nur für einen selbst. Seien diese drei Quellen in dynamischer Balance, sei quasi alles gut. Und: „Es wird gefährlich, wenn ein Bereich mehr als die Summe der anderen wiegt.“ Empathie und ausreichende Nähe zu den Mitarbeitern sei also ein empfehlenswerter Weg zur Gesunderhaltung eines ganzen Unternehmens. Klar sagt Höllinger: „Weiterbildung zahlt in all diese Bereiche ein.“ (red)